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Zum Umgang mit der Wut

Gestern schickte mir jemand ein Zitat von Osho über den Umgang mit der Wut. Osho war ein indischer Guru, der viele Menschen aus West und Ost in seinen Bann zog. Und ich dachte mir: „Interessant! Was wohl dieser umstrittene Mann, der auch viele Therapeut*innen anzog und ausbildete, zu diesem Thema zu sagen hat?!“ Hier das Zitat aus dem Buch „And the Flowers Showered“:

„Wenn du das nächste Mal wütend bist, lauf sieben mal ums Haus, setz dich danach unter einen Baum und schau, wo die Wut geblieben ist. Du hast sie nicht unterdrückt, du hast sie nicht kontrolliert. Du hast sie nicht an jemand anderem ausgelassen. … Wenn du sie an jemand anderem auslässt, löst du eine Kettenreaktion aus….  Du lässt deine Wut an ihm aus, er lässt seine Wut an dir aus, und ihr werdet zu Feinden. …“

Ich verglich seinen Ratschlag mit dem, was ich von heutigen Expert*innen zum Umgang mit der Wut gelernt hatte und mit meinen eigenen Erfahrungen als Mediator, Ex-Kampfkunstlehrer und Vater.

Bewertung

1) Die Wut nicht an anderen oder an dem/r anderen auszulassen, halte ich für einen guten Tipp, um eine mögliche Eskalation zu vermeiden.

2) Die Wut nicht zu unterdrücken, halte ich auch für einen guten Tipp. Schließlich gibt es mittlerweile viele Studien, die belegen, dass unterdrückte Emotionen zu somatischen Beschwerden führen können. Sie zu kontrollieren hingegen, macht in Situationen Sinn, wenn wir mal nicht „sieben mal ums Haus laufen“ können.

3) Sieben mal ums Haus zu laufen, deute ich als Ratschlag, die Wutenergie körperlich herauszulassen. Das können dann auch andere Formen sein, wie joggen, Rad fahren, mit dem Schläger einen Ball gegen die Wand schlagen, im Auto sitzen und brüllen, im Hobbyraum wild tanzen, etc. und sich anschließend unter einen Baum setzen. Diesen Teilsatz „setz dich danach unter einen Baum und schau, wo die Wut geblieben ist.“ halte ich für ebenso wichtig wie das körperliche Ausagieren der Wut. Denn wenn wir uns nicht anschauen, was die Ursache für unsere Wut war, kann es uns passieren, dass wir in eine Wiederholungsschleife kommen und Tag für Tag dieselbe Wut erleben. Und zugleich braucht es zuerst das Ausagieren der vielen Energie, um im Anschluss wieder klar denken zu können. Sehr guter Tipp.

Summa summarum eine gute Anleitung für den Umgang mit der Wut!

Einzig offen ist noch die Frage:

Wie geht es weiter, wenn die Wut noch da ist?

Hier helfen meiner Erfahrung nach die Ideen der Wertschätzenden Kommunikation nach Marshall Rosenberg sowie der Ansatz der Kognitiven Verhaltenstherapie nach Albert Ellis.

Wie Wut und andere Emotionen entstehen?
Wie Emotionen entstehen!

In der Wertschätzenden Kommunikation wird darauf hingewiesen, dass hinter jeder Emotion ein Bedürfnis steht, das versorgt oder zumindest gesehen werden möchte. Also: entdecke das Bedürfnis und überlege, wie du es versorgen kannst. Dann entspannt sich deine Wut.

In der Kognitiven Verhaltenstherapie untersucht man die Interpretationen und Bewertungen, die zur Emotion (hier: zur Wut) geführt haben. Sind diese Interpretationen valide? Oder handelt es sich dabei um ungeprüfte Annahmen? Denn oft verrennen wir uns mit unseren Interpretationen, die ja eigentlich Vermutungen sind, uns aber wie Wahrheiten erscheinen. Und auch bei den Bewertungen machen wir manchmal aus einer Mücke einen Elefanten. So produzieren wir manchmal sinnlos viel emotionale Energie, die uns oder anderen schaden kann.

Willst du deine Interpretationen und Bewertungen hinter der Wut überprüfen, können dir folgende Fragen helfen:

Zugegeben, der Ansatz von Marshall Rosenberg erscheint einfacher. Und doch haben beide Ansätze ihre Berechtigung. Denn unsere Emotionen entwickeln sich entweder auf der Grundlage unserer Bedürfnisse oder auf der Grundlage unserer Interpretationen oder auf der Grundlage von beidem.

Radfahrer im Umgang mit der Wut
Foto von Andrea Piacquadio auf Pexels

Ein Beispiel

Vielleicht ist hier ein Beispiel zur Illustration gut:

Ich fahre mit dem Fahrrad und ein schwarzer Porsche Cayenne nimmt mir die Vorfahrt. Ich muss sogar leicht bremsen, um ihn nicht zu berühren. Wut steigt in mir hoch. Es melden sich mein Bedürfnis nach Respekt sowie mein Bedürfnis nach Sicherheit. Beide Bedürfnisse fühlen sich in dem Moment missachtet und wünschen sich versorgt zu werden. Ich gestikuliere daher wild und klingele, um dem/r Fahrer*in zu verdeutlichen, dass er/sie mehr aufpassen soll.

Zugleich schießt mir ein Gedanke in den Kopf: „Die Fahrer der fettesten Autos denken immer sie könnten sich alles erlauben!“ So ein Gedanke kann die Wut ebenfalls auslösen oder zumindest anheizen. Derartige Gedanken sind im Straßenverkehr recht verbreitet. Die einen haben einen Brass auf die BMW-Fahrer, die anderen misstrauen Autos mit einem bestimmten Nummernschild. Z.B. hatten Autos mit dem Kennzeichen EBE in München früher den Ruf, sich nicht an die Geschwindigkeitsvorgaben zu halten.  Solche Gedanken sind aber normalerweise nicht hilfreich. Sie schaffen es nur, dass sich die eigene Wut steigert.

Porsche Cayenne als Projektionsfläche für den Umgang mit der Wut
Foto von Tama66 auf Pixabay

Bewusster Umgang mit der Wut

Realistisch betrachtet kann ich nicht wissen, was wirklich dazu geführt hat, dass der/die Fahrer*in sich so verhielt. Sobald mir das bewusst wird, dass ich hier meine Wut mit solchen Gedanken/Interpretationen nur sinnlos anheize, kann ich gegensteuern. Z.B. indem ich denke: „Vielleicht war die Person abgelenkt oder extrem in Eile.“ Das beruhigt dann meine Wut gleich wieder etwas.

Ich finde das ganz schön, dass wir hier Möglichkeiten haben, unsere Emotionen abzuschwächen oder zu verstärken.

Darüber hinaus tragen Gefühle das Potenzial in sich, uns zu sinnvollen Handlungen zu animieren. Hierfür wenden wir uns den missachteten Bedürfnissen zu. Im vorigen Beispiel nehmen wir vielleicht nicht nur Wut in uns wahr, sondern auch etwas Angst, weil unser Bedürfnis nach Sicherheit nicht gewürdigt wurde. Dann können wir fragen, was wir für dieses Bedürfnis tun können? Und vielleicht ist die Antwort dann: „Ich war mit meiner dunklen Kleidung im dämmrigen Herbstlicht auch nicht so gut zu sehen. Ich werde zukünftig bei schlechten Sichtverhältnissen immer eine gelbe Warnweste und einen Fahrradhelm tragen.“

Das erlebe ich recht häufig, dass mir die Gefühle eine wertvolle Botschaft übermitteln … wenn ich mich ihnen interessiert zuwende.

Was sind deine Erfahrungen mit der Wut? Was findest du schwierig oder hilfreich an ihr? Wenn du deine Erfahrungen dazu mit mir und anderen teilen möchtest, kannst du gerne die Kommentarfunktion hierfür nutzen.

Ich wünsche Dir auf jeden Fall alles Gute im Umgang mit deinen Gefühlen und insbesondere mit deiner Wut. 

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