Homeoffice ist eine umstrittene Sache. Die einen profitieren davon, andere leiden darunter. Ich finde es eigentlich recht cool. Doch heute hatte ich Probleme mit dem Homeoffice!
Der Tag begann angenehm …Aufwachen im warmen, kuscheligen Bett und das liebevolle Begrüßen der anderen Familienmitglieder … Dann ein gemeinsames Frühstück und anschließend … Homeoffice. Unser Sohn hatte heute Schnupfen und wegen der vierten Welle bitten die Kitas, die Kinder in so einem Fall zu Hause zu lassen. Also Homeoffice mit Junior zu Hause! Okay, da gab es bereits schon etwas Widerstand in mir, zumal der Schnupfen nicht schlimm war und das Thema Corona eh nervt.
Aber gut, meine Frau und ich begeben uns an unsere Schreibtische und Söhnchen düst durch die Wohnung, in der Hoffnung irgendwie mit uns in Kontakt bleiben zu können. Ist ja auch eigentlich sehr süß. Aber irgendwie finde ich nach dem Wochenende nicht gleich wieder in die Spur. Ich brauche wohl erst mal etwas innere Sammlung und entscheide mich für eine 5-minütige Meditation.
Ich kann mich nicht konzentrieren
Mein Sohn schafft es, mich in den 5 Minuten zweimal zu unterbrechen. Beim zweiten Mal flippe ich aus, haue leicht auf den Tisch und rufe: „So kann ich mich nicht konzentrieren!“ Mein Sohn verschwindet wieder aus dem Blickfeld. In mir grummelt es weiter. Ich war ja schon später als geplant aufgestanden, hatte am Tag zuvor auch eine Aufgabe liegen lassen. Einem Teil von mir reicht’s: „So wird das nie was!!“ brüllt der im Inneren. Es wird eng in mir.
„Okay, okay.“ beschwichtigt ein anderer Anteil in mir: „Es gibt ja auch noch mein Arbeitszimmer im Nachbarstadtteil. Vielleicht bekomme ich Homeoffice heute einfach nicht hin?!“ Und schon meldet sich eine andere Stimme: „Aber ich wollte so gerne meine Frau unterstützen. Und ich verstehe nicht, warum das heute nicht klappt. Die letzten Male hatte es doch auch geklappt, als unser Sohn zu Hause bleiben musste.“ Dieser Anteil will das können, will der perfekte Ehemann sein!
Meine Gedanken drehen sich im Kreis
Glücklicherweise bin ich nicht meinen Gedanken ausgeliefert. Denn die drehten sich da voll im Kreis: „Ich kann das nicht.“ versus „Du musst das können.“ und „Ich habe es meiner Frau gegenüber zugesagt.“ Dabei produzierten sie wilde Emotionen, die den Druck in mir weiter erhöhten!
Zu den Gedanken zur Situation mischten sich dann weitere Gedanken, die sich auf die Vergangenheit und Zukunft richteten. Wie z.B. „Hätte ich mich gestern nur nicht zu dem Film überreden lassen.“ „Das mit dem Film war aber auch sehr nett!“ „Ich hätte heute Früh früher aufstehen sollen.“ „Ich hab den Schlaf aber auch irgendwie gebraucht!“ „Was, wenn unser Sohn die ganze Woche nicht in die Kita kann?!“ „Ich hab wieder kein Yoga gemacht!“ „Und ich müsste meine Haare waschen.“
Diese Gedanken waren irgendwie auch nicht hilfreich…
Was tun?!
Die Ebene wechseln!
Auf die Bedürfnisebene wechseln
Ich ging auf die Bedürfnisebene. Da waren nur zwei Bedürfnisse sichtbar: Arbeiten wollen. Uund meine Frau unterstützen wollen. Die Gedanken sprachen zwar weiter im Hintergrund, aber glücklicherweise eben nur im Hintergrund.
Ich stand auf und schilderte meiner Frau, meine Schwierigkeiten in die Arbeitsspur zu finden; dass es mir heute schwer fällt, von zu Hause zu arbeiten. Sie meinte: „Kein Problem, wenn du ins Arbeitszimmer ausweichst.“ Sie fühle sich entspannt und auf Arbeit sei nicht so viel los. Ich war erleichtert.
Später im Büro spürte ich meinen Gefühlen nochmal nach, denn sie waren immer noch in Wallung:
Ich spürte von der Brust zum Hals Dampf mit hohem Druck herauszischen. Es fühlte sich an wie ein Dampfkessel, der weiter Dampf produzierte. Meine Füße waren unter dem Stuhl nach hinten geklappt, es war Spannung in beiden Beinen. Das erinnerte mich an die Hinterläufe eines Pferdes und mir kamen innere Bilder von einem aufgescheuchten Pferd, das hysterisch wiehert, auf den Hinterläufen in die Luft steigt und davonstürmen will.
Was ist da eigentlich in mir los? Was steht hinter diesen Bildern?
Der Druck, das verpasste Arbeitspensum wieder aufholen zu müssen; die Enttäuschung, meinem Anspruch nicht genügen zu können; die Sorge, dass meine Frau insgeheim doch enttäuscht von mir ist. Das alles ließ den Kessel weiter Dampf produzieren…
Selbst da noch, wo das Problem doch eigentlich schon gelöst war.
Mich meinen Gefühlen zuwenden
Ich merkte, dass dieses den Körperempfindungen Nachspüren sowie das Gewahrwerden der inneren Bilder mir gut tat. Es entspannte mich. Und es machte mich auch aufmerksam darauf, dass hier noch etwas zu versorgen ist.
Ich spreche mit dem, was ich wahrgenommen habe. Dem Druck sage ich: „Es gibt hier keinen Wettlauf zu gewinnen! Ich arbeite in meinem Tempo und mehr geht nicht oder mehr will ich nicht.“ Der Enttäuschung sage ich: „Jeder Tag ist anders. An manchen Tagen klappt es halt besser. An manchen Tagen sind die Aufgaben besser mit Homeoffice kompatibel, an manchen weniger. Und auch meine Tagesform ist nicht immer gleich.“ Und der Sorge sage ich: „Meine Frau kennt mich doch schon sehr lange. Sie kann damit umgehen. Und ich weiß, dass sie mir auch sagen würde, wenn sie meine Unterstützung braucht.“
Das entspannte mich weiter.
Jetzt war es okay.
Rückblick
Ich erinnere mich an frühere Zeiten, als ich meinen „negativen“ Gefühlen noch ausgewichen bin, sie nicht haben und nicht fühlen wollte. Da war ich nur auf der Gedankenebene unterwegs. Manchmal konnte ich dann mit der Übung von Schulz von Thun „Das Innere Team“ meine durcheinander und gegeneinander sprechenden Stimmen in mir entwirren, sortieren und aus der Position des Teamleiters dann eine Entscheidung treffen.
Dafür brauchte ich aber immer ein Blatt Papier und einen Stift, um die Gedanken aus dem Kopf raus (aufs Papier) zu bringen. Durch den dadurch entstandenen Abstand zu den Gedanken war es dann leichter eine sinnvolle Entscheidung zu treffen.
Doch wenn ich kein Papier und Stift zur Hand hatte oder mir nicht die Mühe machte, verhedderte ich mich in meinen Gedanken. Und diese produzierten weiter fröhlich Emotionen: etwas Wut, etwas Angst, etwas Verzweiflung, und in der nächsten Gedankenschleife mehr davon, bis diese ein Maß erreichten, wo sie sich dann verselbständigten: in einer Wut- oder Angsthandlung, die meist nicht angemessen war. Zwar war dann für kurze Zeit die emotionale Ladung abgebaut, doch oft hatte ich dadurch nur ein neues Problem kreiert.
Daher freue ich mich so über die Arbeit von Marshall Rosenberg, der uns in seiner Wertschätzenden Kommunikation immer wieder auf die Bedürfnisebene hinweist. Auf der Bedürfnisebene finden wir leicht zu Lösungen.
Abwehr der eigenen Gefühle verschärfen die Probleme
Ferner ist es so erleichternd, wenn man seine Scham und sein Misstrauen gegenüber den eigenen Emotionen verliert. Denn Gefühle werden unausweichlich jeden Tag in uns generiert. Und wenn wir das schlimm, gefährlich oder peinlich finden und sie nicht haben und angucken wollen, dann kommen wir schwerer an die darunterliegenden Bedürfnisse und Lösungshinweise.
Natürlich hätte es neben dem Ausweichen ins Büro auch andere Lösungsoptionen gegeben: ich hätte Aufgaben finden können, die mir leichter von der Hand gegangen wären, als die konzeptionellen Arbeiten, die ich mir vorgenommen hatte. Oder ich hätte mich mit meiner Frau abwechseln können: dass immer nur einer von uns ansprechbar ist und bei dem anderen die Türe für eine Stunde geschlossen ist.
Fazit
Lösungsrelevant ist, glaube ich, vor allem die Fähigkeit, die Akzeptanz und Achtsamkeit für innere Bewegungen zu haben und gleichzeitig nicht den Überblick zu verlieren in der Vielfalt der auftauchenden Gedanken und Emotionen.